Gedanken zur Liebe #9 - Verletzlichkeit
- Melani 
- 3. Dez. 2020
- 3 Min. Lesezeit
Aus Liebe zum Mut und zur Stärke, verletzlich zu sein.
Ich habe mit den Jahren gelernt, meine Gefühle und Gedanken zu äußern. Früher war dem nicht so. Viel zu oft erwartet man sich, dass das Gegenüber riechen kann, wie man und was man fühlt oder denkt. Manchmal hat man auch zwischen sich und seinem Gegenüber nicht den nötigen urteilsfreien Raum für das Äußern seines Innenlebens geschaffen. Oder wir glauben schon im Vorhinein zu wissen, wie die Person reagieren wird. Und so formen sich Ängste zu einer dicken, undurchlässigen Mauer, die es uns nicht erlaubt, für uns selbst einzustehen.
Wovor haben wir Angst, das auszusprechen, was in uns vorgeht? Immerhin ist es ja genau das, was wir gerade fühlen oder denken und jeder ist dazu berechtigt, etwas so zu fühlen, wie er oder sie es nunmal tut. Klar, manchmal ist es gut, eine Nacht darüber zu schlafen, sich Zeit zu nehmen, etwas zu verarbeiten bzw. das kochende Wasser ruhen zu lassen, um dann eine klarere Sicht zu kriegen. Allerdings nicht, wenn es um wesentliche Dinge geht. Und oft realisiert man zu spät, wie kurz das Leben und wie selten eine zweite Chance ist. Je mehr wir von unseren Gefühlen runterschlucken, desto größer wird die innerliche Ansammlung an unausgesprochenen Gefühlen, bis wir dann irgendwann in dem Chaos nicht mehr wissen, welches gerade an der Reihe ist. Wir spüren uns nicht mehr und sind hin- und hergerissen.
Es bedarf viel Mut, sein Innenleben nach außen zu kommunizieren. Oft riskieren wir dabei ausgeschlossen oder zurückgewiesen zu werden, Freundschaften oder Beziehungen zu zerstören und sogar Menschen für immer zu verlieren. Auf der anderen Seite versäumen wir tiefere Verbundenheit mit uns selbst und unserem Gegenüber, eine bessere, aufrichtigere Kommunikation und Menschen zu verlieren, die nicht dafür bestimmt sind, in unserem Leben zu bleiben. Und wenn man das so liest, klingt Letzteres besser aber ist in der Ausführung deutlich schwerer. Wir leben leider noch immer in einer Gesellschaft, in der Verletzlichkeit oftmals mit Schwäche gleichgesetzt wird und dabei das Kraftvolle und Schöpferische darin außer Acht gelassen wird. Meist sind es die toughen, kaltherzigen Menschen, die es schaffen die Lebens- oder Karriereleiter auf dem wackeligen Fundament bestehend aus Abgebrühtheit und emotionaler Distanz schnell, aber nur bis zu einer bestimmten Höhe hochzuklettern. Die, die Mut zur Verletzlichkeit haben, bauen sich zuerst einen stabilen Boden, der die Räume der unendlichen Tiefen mit Liebe befüllt und verbindet, und somit das Hochklettern der Lebens- oder Karriereleiter angstfrei und unbegrenzt macht. Das Leben hat mir schon oft bewiesen, je verletzlicher bzw. menschlicher ich anderen gegenüber bin, desto größer auch ihre Bereitschaft, sich zu öffnen und einfach sie selbst zu sein. Gespräche finden dann auf einer ganz anderen Ebene statt. Deshalb finde ich es traurig, dass man sich selbst so etwas vorenthält, vor allem wenn man die Vergänglichkeit unseres Lebens bedenkt.
Es bedarf einer gesunden Dosis Selbstliebe, einen seelischen Striptease hinzulegen und dabei das Risiko zu tragen, dass man am Ende vollkommen entblößt ohne oder vor einem belächelnden Publikum dasteht. Spätestens dann weiß man, wie sich etwas schmerzhaft und befreiend zugleich anfühlen kann. Aber hey: Der Schmerz lässt nach, dieses Gefühl der Freiheit bleibt bestehen und verleiht Stärke. Man schreitet aus der auf fälschlicher Coolness gebauten Komfortzone hinaus in ein erfüllteres und ERFÜHLTERES Leben.
Wenn dich jemand verletzt oder enttäuscht hat, sag es. Wenn du jemanden liebst, sag es. Wenn du mit jemandem nicht einer Meinung bist, sag es. Wenn du etwas nicht möchtest, sag es. Wenn du deine Ruhe brauchst, sag es. Wenn du Hilfe brauchst, sag es. Habe den Mut, du zu sein! Aber lass die Liebe in dir entscheiden, welchen Ton und welche Worte du dabei verwendest.


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